Landleben in Ost und West

Vom Sauerland hatte Susi vorher noch nie gehört, als sie die Stellenausschreibung fand. Leben auf dem Land war für sie hingegen nichts Neues. Denn geboren wurde sie 1993 in Brandenburg zwischen Spreewald und Berlin auf dem platten Land. Dort verbrachte sie ihre Kindheit und Jugend, behütet in gemütlicher Dorfatmosphäre mit gerade mal um die 150 Einwohner – umringt von Bauernhöfen, Ackerflächen und Tieren. Es waren jedoch nur 20 Kilometer zum Bahnhof, von dem aus sie in einer halben Stunde mitten in der Hauptstadt war. Doch gerade im jungen Alter ohne Auto war ein Wegkommen schwer und auch die Busse eher rar.

Es war trotzdem eine schöne Kindheit und Jugend, aber, wie so oft, passten die Lebensumstände mit der Zeit nicht mehr zu den Zukunftsplänen. Geschichte studieren, das geht eben nicht in Brandenburg und so verschlug es sie 2012 schließlich nach Chemnitz. Mit rund 250.000 Einwohnern schon eine ganz andere Hausnummer als ihr Heimatort und trotzdem machte die Stadt Susi das Ankommen leicht. Über die Uni knüpfte sie schnell Kontakte, Straßenbahnen und Busse fuhren im 5-Minuten-Takt und die vielen Grünflächen machten das Leben sehr angenehm.

Doch Susi wollte noch ein wenig mehr erleben und so packte sie ihre Koffer, um für ein Jahr im Ausland zu studieren. Es ging nach Budapest – zu Beginn ohne Wohnung und ohne Sprachkenntnisse. Eine Erfahrung, die Susi wachsen ließ und die es ihr heute einfacher macht, sich an neue Umgebungen zu gewöhnen.

Und das ist auch gut so. Denn als studierte Historikerin, die auch genau in diesem Beruf arbeiten und ihrer Passion nachgehen will, ist es gar nicht so leicht, Fuß zu fassen und so ging Susi nach dem Studium komplett offen an die Stellensuche. Fündig wurde sie schließlich in Arnsberg. Die Stelle war zum 1. Januar ausgeschrieben, doch Susi wurde gefragt, ob sie schon früher anfangen wollte und so hatte sie nur drei Wochen, um sich auf den Umzug vorzubereiten. Doch schließlich saß sie mit Sack und Pack im Zug Richtung Sauerland. Ihre erste Wohnung in Arnsberg war einmal eine alte Kneipe gewesen. Das war etwas speziell, aber auch nicht weiter tragisch, da die Stelle ohnehin befristet war. Als sie schon bald zum Kreisarchiv in Meschede wechselte und ein fester Vertrag in der Tasche war, zog sie in eine schönere Wohnung.

Auch wenn man denken könnte, dass Susi ein ähnliches Leben schon aus Brandenburg kannte und es für sie ein Leichtes sein sollte, sich hier zurecht zu finden, stellte sie fest, dass es im Sauerland doch ganz anders war, als in ihrer Heimat. Vielleicht, weil Susi in die Stadt zog – auch wenn Arnsberg selbst nicht riesig groß ist –, um kurze Arbeitswege zu haben. Und weil Arnsberg mit Museum und Theater mehr Kultur versprach. Doch schnell bekam sie zu spüren, dass hier alles viel anonymer war, als sie das von ihren vorherigen Stationen kannte. Hier fehlte das universitäre Umfeld, durch das sie außerhalb ihrer Heimat zwangsläufig Menschen kennengelernt hatte. Würde Susi noch einmal neu ins Sauerland ziehen, würde sie weiter aufs Land hinausgehen, in der Hoffnung, dort in einer kleineren Gemeinschaft schneller Anschluss zu finden. Trotz Sportverein findet sie es bis heute in Arnsberg nicht leicht, neue Kontakte zu knüpfen. Geholfen haben ihr die Stammtische von Heimvorteil HSK, wo Neubürger und Rückkehrer zusammenkommen, die vor ähnlichen Herausforderungen stehen.

Aber Susi lebt gerne im Sauerland. Ihre Arbeit fordert sie, ihre Kolleginnen sind toll und auch die Umgebung hat sie in ihr Herz geschlossen. Die Temperaturen sind angenehmer als in Brandenburg, dadurch ist es grüner: Sie kann im Sommer die Tür aufmachen und es kommt kein riesiger Mückenschwarm hinein, sondern einfach nur frische Luft. Auch das Fahrradfahren macht ihr hier Spaß. Die Fahrradwege werden immer besser und auch mit dem Zug ist es nicht allzu weit in die umliegenden Großstädte.

Susi würde sich jedoch wünschen, dass es mehr Angebote für junge und jüngere Menschen geben würde. Außerhalb von Schützenfest sieht das manchmal nämlich eher mau aus – und Schützenfest ist eben nicht für jeden etwas und vor allem für Zugezogene manchmal schwer zu verstehen. Und es gibt sie ja, die anderen Ende 20-Jährigen – nicht alle sind weggezogen. Manchmal sieht Susi sie bei Kneipenfestivals. Aber sie hat das Gefühl, dass viele davon eher in Neheim leben und lieber unter sich bleiben. Da spürt sie deutlich, dass es eine Trennung gibt. Unsichtbare Grenzen zwischen den einzelnen Stadtteilen, als würde immer noch in Altkreisen und sogar noch kleiner gedacht.

Susi hat das Gefühl, dass in Arnsberg oft eine ältere Zielgruppe angesprochen wird. Und das nicht nur Freizeitaktivitäten betreffend, sondern auch die Gestaltung der Arbeit. Einige der Arbeitgeber im Sauerland scheinen noch sehr unflexibel in ihren Strukturen und es tut sich nur langsam etwas, um das Arbeiten auch für jüngere Menschen attraktiver zu machen. Work-Life-Balance wird hier vielerorts eher noch belächelt.

Und speziell eine bewusstere Ansprache gegenüber Neubürgern wie ihr und ihrem Mann, um das Ankommen etwas leichter zu machen, sich willkommen zu fühlen im Sauerland, würde Susi sehr begrüßen und es auch anderen leichter machen, das Sauerland als ihre neue Heimat anzunehmen oder überhaupt in Betracht zu ziehen.

Dass mit der Sprache ist überhaupt so eine Sache: Fand sie die am Anfang noch etwas gewöhnungsbedürftig, hat sie inzwischen doch ihre Liebe für Wörter wie „usselig“ oder „schnuckeln“ entdeckt und bereits in ihren Sprachgebrauch aufgenommen. Aber sie bringt auch ihren eigenen Dialekt gerne mit ein und so machen sich die Leute in ihrem Umfeld inzwischen nicht mehr „auf den Weg“, wenn sie aufbrechen, sondern „sie machen los“. Es wird Zeit, dass sich auch das Sauerland „los macht“ und in vielen Bereichen offener und moderner wird.