40 Jahre ist es her, dass Maria im Sauerland das Licht der Welt erblickte. Kindergarten, Grundschule, weiterführende Schule in Meschede. Es war eine Kindheit und Jugend wie sie viele im Sauerland erleben. Doch wie bei so vielen wuchs auch bei Maria der Wunsch, das Sauerland zu verlassen. Das leise Gefühl wurde nach dem Abitur beinahe zu einer Notwendigkeit: Sie wollte ihre Heimat ganz schnell und ganz weit hinter sich lassen.
Als jüngste von fünf Geschwistern war sie die letzte, die noch in Meschede wohnte. Und so stand es, als das Abi in der Tasche war, außer Frage, dass auch sie weggehen würde. Eine andere Option gab es für sie einfach nicht. Natürlich hätte sie auch bleiben können, niemand zwang sie dazu, dem Sauerland den Rücken zu kehren. Aber Maria dachte sich nur: Bloß weg hier! Es war ihr zu langweilig, zu eng, beinahe klaustrophobisch, zu katholisch. Sehr viele „zu“, die sie dann auch ihre Sachen packen und bis nach Freiburg im Breisgau ganz am südwestlichen Zipfel Deutschlands ziehen ließen. Ziemlich weit weg – und das fand Maria ziemlich gut.
Literaturwissenschaften und Gender Studies standen dort auf dem Plan. Nach fünf Jahren Studium war ihr jedoch auch Freiburg zu klein geworden. Es passte nicht mehr zu ihren Bedürfnissen. Nach einem Gastsemester in Berlin entschied sie sich, ganz dorthin zu ziehen und so packte sie, sobald sie scheinfrei war, ein weiteres Mal ihre Koffer. Die Magisterarbeit schrieb sie also diesmal im Nordosten Deutschlands. Immer noch mit großem Sicherheitsabstand zum Sauerland. Das war 2006. Bis sie abermals ihre Sachen zusammenpackte, sollten 16 Jahre vergehen.
Ganz leise fing es an. Auf dem Weg zu ihren Eltern, die sie natürlich noch regelmäßig im Sauerland besuchte, schaute sie irgendwann aus dem Zugfenster und als sie die so vertrauten Wälder und Felder und Hügel sah, da wurde ihr plötzlich ganz warm ums Herz. Sie konnte es zunächst gar nicht fassen. Was ist denn das da in dir?, fragte sie sich. Und als beim nächsten Mal das Gefühl wieder hochkam, als sie mit dem Zug von Berlin nach Meschede die magische Grenze Dortmund-Hagen überschritten hatte, da war ihr klar, dass sich da so etwas wie ein Heimatgefühl in ihr regte.
Von nun an fiel es Maria immer schwerer, zurück nach Berlin zu fahren, wenn der Besuch bei den Eltern vorbei war. Es war kein schneller Prozess, sondern ein sehr langsamer und schleichender. Ganz behutsam holte sich das Sauerland Marias Herz zurück.
Schon bald hatte sie den Eindruck, dass Berlin einfach nicht mehr zu ihr passte. Sie hatte sich verändert, Berlin war nicht gerade lebenswerter geworden in den 16 Jahren und ihre Eltern wurden auch nicht jünger. Doch so richtig traute Maria sich nicht, den Absprung zu wagen und Berlin den Rücken zu kehren, weil … ja warum eigentlich? 2016 war es dann soweit – dachte sie. Eine schmerzhafte Trennung sollte ihr endlich den letzten Schubser geben, um zurück in die Heimat zu gehen. Doch ein tolles Jobangebot hielt sie davon ab und ließ sie ihre Sauerland-Sehnsucht erst einmal wieder vergessen.
Ein paar Jahre vergingen. Maria hatte große Pläne. Sie wollte sich in Berlin selbstständig machen, nachdem sie lange Jahre als Sporttherapeutin und Personal Trainerin in leitender Funktion in einem gesundheitssportlichen Fitnessstudio gearbeitet hatte. Sie hatte vor, den Club zu kaufen, doch die Pläne zerschlugen sich durch den ersten pandemiebedingten Lockdown. Der zweite Lockdown bedeutete für die Fitnessindustrie viele Monate Stillstand. Aus super arbeitsreichen 50 Stunden-Wochen wurden vereinzelte Stunden, die Maria vor der Kamera stand und Online-Trainings gab.
Viele Stunden blieben übrig, in denen Maria Zeit hatte, nachzudenken. Plötzlich merkte sie, wie viel Raum die Arbeit in ihrem Leben eingenommen hatte und dass da neben gar nicht mehr so viel übriggeblieben war. An Weihnachten 2020, das sie bei ihren Eltern im Sauerland verbrachte, wurde ihr klar: Sie will nicht wieder zurück nach Berlin. Sie hatte keine Lust mehr auf die Arbeit, keine Lust mehr auf die Stadt und auf ihre Wohnung. Nicht einmal ihre kleine Gartenlaube außerhalb der Stadtgrenze konnte die Sehnsucht nach der Natur und frischen Luft ihrer Heimat stillen. Aber ohne festen Job zurück ins Sauerland? Und dann war da ja auch noch das Verantwortungsgefühl gegenüber dem Arbeitgeber in Berlin …
Nach einem Todesfall in der Familie wurde Maria klar, dass auch sie selbst nicht jünger wird, dass ihr die Lebenszeit niemand zurückbringt. Der Entschluss war gefasst, die Kündigung raus und die Idee der Selbstständigkeit im Sauerland geboren.
Mit ihrem eigenen Unternehmen KörperKraftVertrauen setzt Maria jetzt etwas um, das sie schon lange beschäftigt und das ihr in der Fitnessindustrie bislang immer gefehlt hat: Ein Angebot für mehr Wohlbefinden im eigenen Körper – und nicht zur Selbstoptimierung. Sie möchte Menschen ganz ohne Schuldgefühle und Diätzwang für die Bewegung begeistern. Und dass Personaltraining und Gesundheitscoaching auch online ganz wunderbar funktionieren, hatte sie ja in den letzten beiden Jahren bereits erfahren. Damit ist sie nicht nur auf Meschede und die nähere Umgebung festgelegt, sondern kann Fitnesswilligen aus ganz Deutschland zur Seite stehen.
In Meschede hat sie bisher viel positives Feedback zu ihrer Arbeit bekommen. Die Leute sind interessiert und freuen sich, dass so ein Trend nicht erst fünf Jahre später im Sauerland Einzug hält, wie das sonst so oft der Fall ist.
Wenn Maria jetzt zurückschaut, kann sie gar nicht fassen, wie viel sie in den vergangenen Monaten auf die Beine gestellt hat, nachdem diese Blockade in ihrem Kopf endlich gelöst war und sie sich auf sich selbst fokussieren konnte.
Als der Umzug geschafft, der letzte Arbeitstag zu Ende und auch dem letzten netten Menschen erklärt worden war, wieso sie denn Berlin verlassen wolle, musste Maria erst einmal einen ganzen Tag schlafen. In dem Bett, in dem sie schon zu Zeiten ihres Abiturs geschlafen hatte und das ihr den Übergang von Berlin ins Sauerland einfacher machen sollte. Maria war einfach nur erschöpft – und dann sehr, sehr froh: Für sie fühlte es sich richtig an und das tut es auch heute noch. Nicht für eine einzige Sekunde hat sie bisher gedacht: „Eigentlich würde ich doch gerne wieder zurück nach Berlin.“ Nicht eine Sekunde.