Dritte Orte schaffen

Kunst und kreativ sein? Das ist vielleicht nicht das erste, was mir einfällt, wenn ich ans Sauerland denke. Dass es dort aber durchaus viele Menschen gibt, die Lust auf Kunst und Kunstschaffen haben, das habe ich gemerkt, als ich mich mit Anne und Sandra unterhalten habe. Die zwei brennen für die Kunst und haben gemeinsam ein tolles Projekt auf die Beine gestellt.

Aber von vorne:

Anne ist studierte Sozialpädagogin, bildete sich später berufsbegleitend zur Kunstpädagogin weiter und kommt ursprünglich aus Greifswald. Ihre größte Leidenschaft: Bilder – ob gemalt oder fotografiert oder sonst irgendwie entstanden. Sie selbst illustriert Bücher. Es ist die Verbindung zwischen Bildern und Begegnungen, die sie reizt. Das „Dazwischen“ ist das, was Kunst für sie besonders spannend macht. Im Studium lernte sie einen Sauerländer kennen und wurde so der Liebe wegen vor zwölf Jahren selbst zu einer Sauerländerin. Das war nicht immer einfach, aber inzwischen möchte Anne nicht mehr fort. Rückblickend ist sie überzeugt, dass das Sauerland eine extrem wichtige Rolle gespielt hat auf dem Weg dahin, wer und was sie nun ist.

Sandra hingegen wurde bereits im Sauerland geboren und ist hier zur Schule gegangen. Weg wollte sie eigentlich nie. Sie wollte eigentlich gerne Goldschmiedin werden, fand aber nicht den passenden Ausbildungsplatz. Schließlich entschied sie sich doch für ein Studium. Es führte sie in die kleine Universitätsstadt Marburg, nicht allzu weit hinter der Sauerländer Grenze. Da auch Sandra ein sehr visueller und kreativer Mensch ist, wurde es Kunstgeschichte in Kombination mit Grafik und Malerei im zweiten Fach. Während des Studiums war sie wissenschaftliche Hilfskraft, nach ihrem Master hatte sie einen Lehrauftrag im Institut für Grafik und Malerei, den sie auch weitergeführt hätte. Doch dann bekam ihr Mann, der bei der Bundeswehr tätig ist, das Angebot, nach England zu gehen. Und sie ging mit – für drei Jahre. Ende 2018 zogen sie dann zurück. Nicht nach Marburg, sondern zurück in die Heimat, nach Siedlinghausen. Dort wollten sie sich eine Homebase schaffen.

Und genau dort traf sie auch auf Anne:

2018 verließ der letzte Schüler die Schule in Siedlinghausen. Da der Ideenprozess, was mit dem Gebäude geschehen soll, langwierig ist, begann Sandra auf den Aufruf der Stadt Winterberg hin mit einer Freundin und anderen Menschen aus dem Ort zu überlegen, wie man die leerstehenden Räume inzwischen nutzen könnte. Viele Ideen entstanden und so wurde die Schule teilweise für eine Testphase wieder geöffnet, als Raum für Vereine, für Sport, für Kinderbetreuung – und für Kunst. Die Idee war, den alten Werkraum zum Kunstatelier umzugestalten.

Dass Anne und Sandra aufeinandertrafen, war eigentlich kein Zufall. Ein Bekannter von Sandra kannte Anne und wusste, dass sie etwas Kreatives auf die Beine stellen wollte. Kurzerhand kontaktierte Sandra Anne via Instagram – sie hatten sich gesucht und gefunden.

Erstmals zusammen arbeiteten die beiden schließlich auf der TEXTILE im Mai. Der Startschuss für das Atelier in der Schule fiel im Juni und im August im Rahmen der Winterberger Kreativ-Woche ging es endlich los. Schnell war klar: Der Bedarf ist da. Am Ende wurde daraus ein kreatives Treffen am Nachmittag mit Erwachsenen und Kindern und später auch eine Ladies Drawing Night, zu der natürlich auch Gentlemen willkommen sind, nur für Erwachsene. Die Idee hinter dem Projekt ist nicht, bei den Treffen etwas zu erschaffen, was sofort perfekt sein muss. Es soll darum gehen, loszulassen und frei etwas zu gestalten. Und wenn Kinder und Erwachsene aufeinandertreffen, dann kann jeder vom anderen lernen. Die Kinder schauen sich bei den Erwachsenen ab, wie sie ihre Objekte naturalistischer gestalten können, die Erwachsenen hingegen, lernen von den Kindern, loszulassen und eben nicht nach dieser Perfektion zu streben. Es geht um den Prozess, nicht darum, ein besonders „schönes“ Ergebnis zu erhalten.

Mit der Ankunft der ersten Geflüchteten aus der Ukraine wurde die Schule in Siedlinghausen nun jedoch in ein Ankunftszentrum umgewandelt – mit Kleiderausgabe, Wickel-, Schlaf- und Aufenthaltsraum – sollte es nötig werden, soll sie auch als erste Unterkunft dienen. Eine Aufgabe für die ehemaligen Klassenräume, die sicherlich gerade Priorität hat. Daher sind Anne und Sandra nun auf der Suche nach Räumen, in denen das offene Atelier langfristig eine Heimat finden kann, denn weitergeführt werden, das soll es auf jeden Fall. Denn die Lust auf Kunst ist da und es gibt so viel, was noch ausprobiert werden könnte. Anne und Sandra sprudeln vor Ideen und sind mit vollem Einsatz dabei, ihre Leidenschaft für Kunst und Kreativität auch anderen zu vermitteln. Sie wollen zeigen, dass Kunst eine Möglichkeit ist, sich auszudrücken, dass jeder das kann und auch darf – auch auf dem Land, fernab von städtischen Künstlervierteln.

Gerade im Kunstbereich ist im Sauerland eher die Ü70-Fraktion unterwegs. Anne und Sandra sind überzeugt, dass es Zeit wird, dass auch für jüngere und ganz junge Kunstschaffende und Talente Räume geschaffen werden müssen.

Und Raum gibt es genug – Raum, um sich zu entfalten. In Berlin gibt es Projekte wie dieses zuhauf. Im Sauerland sind die beiden eher alleine damit. Das ist jedoch nicht nur schlecht, sondern eben auch eine Chance. Leider herrscht immer noch das Klischee, dass es auf dem Land keine Kunst und Kultur gibt. Aber dem ist nicht so. Es verändert sich etwas. Es geht hier nur etwas langsamer.

Und irgendjemand muss ja den Anfang machen. Es muss bloß Menschen geben, die sich finden, die etwas im Ort und in der Region bewegen und aufbauen, um noch mehr Menschen zusammenzubringen und zu begeistern. So wie Sandra und An