Für viele Menschen ist das Sauerland ein Urlaubsziel, die Sauerländer selbst zieht es im Urlaub oft ein ganzes Stück in den Süden: Nach Österreich, genauer: Tirol. Hohe Berge (also richtige Berge!) und tiefe Täler – im Winter Skifahren, im Sommer wandern oder Mountainbiken. Ein absoluter Traum für Naturliebhaber. Daher ist es nicht verwunderlich, dass Petra sich im Sauerland schon öfter die Frage anhören musste, wie man denn von dort, ihrer südlichen Heimat Tirol, wegziehen kann? Aber die Antwort ist natürlich ganz einfach: Die Liebe – und weil das Sauerland ja auch ziemlich schön ist.
Aufgewachsen ist Petra auf dem Land, in einem Dorf mit knapp 1000 Einwohnerinnen und Einwohnern. Ihre Kindheit war wie so viele andere in den 70er und 80er Jahren: Schule, ganz viel Freiraum, viel draußen sein, mit den Geschwistern und vielen Spielkameradinnen und -kameraden – eine unbeschwerte Kindheit eben. Internet gab es natürlich noch nicht. Aber dafür Feriengäste! Die Verwandtschaft hatte einen Bauernhof, der jedes Jahr auch Gäste beherbergte – aus den Niederlanden und viele kamen natürlich aus Deutschland. Ihre Nachbarin und Spielkameradin in Kindertagen hatte lange Zeit in Südafrika gelebt, und Petra war fasziniert von der „anderen“ Kultur, die in deren Haus über die Einrichtung, die Sprache – oft wurde Englisch gesprochen, aber auch bestimmte afrikanische Gerichte sicht-, hör- und schmeckbar war. Ein bisschen Sehnsucht danach, mal ins Ausland zu ziehen, war daher unterschwellig vielleicht immer schon da. Dass es einmal Realität werden würde, das konnte sie sich als Zehnjährige natürlich noch nicht vorstellen.
Zur Schule ging es in die Landeshauptstadt, nach Innsbruck, danach fing sie an zu arbeiten, studierte begleitend Erziehungswissenschaften und schloss später noch eine Ausbildung zur Psychosozialberaterin in Logotherapie und Existenzanalyse nach Viktor E. Frankl ab – immer schon mit dem Gedanken, sich irgendwann einmal selbstständig zu machen. Neben ihrer Stelle in der öffentlichen Verwaltung, wo sie sich um die Gleichstellung von Frauen kümmerte, war sie auch freiberuflich tätig und gab Seminare und hielt Vorträge.
Und dann lernte sie 2016 ihren heutigen Mann kennen, der in Tirol Urlaub machte und der war – wie sollte es anders sein – Sauerländer. Von da an begann die Pendelei zwischen Tirol und dem Sauerland, schließlich war Petra ja noch in Österreich angestellt und so leichtfertig gibt man eine 30-jährige Beamtenlaufbahn nun einmal nicht auf. Doch ein gemeinsamer Lebensmittelpunkt musste her: Die verborgene Sehnsucht, vielleicht irgendwann mal wegzugehen, war ja schon da. Und weil sie sich in Grevenstein sofort wohl gefühlt hatte, war es für Petra möglich, sich vorzustellen, nach Grevenstein zu ziehen. Allerdings unter der Voraussetzung, dass sie hier eine entsprechende berufliche Basis aufbauen kann. Und das klappte: 2019 zog sie schließlich endgültig ins Sauerland und begann eine Stelle als Projektleiterin im kommunalen Konfliktmanagement bei der Bezirksregierung. Der Job war wie für sie gemacht. Und das Sauerland sowieso: Petra liebt die 1000 Berge hier, auch wenn es eher Hügel sind. Es ist vor allem die Weite, die für sie den Unterschied macht. Die Familie ihres Mannes empfing sie mit offenen Armen, und auch die Nachbarschaft nahm sie herzlich auf. Denn hier waren Buiterlinge in Grevenstein eben nichts Neues: Der Pole im eigenen, der Österreicher im Nachbarhaus und die Holländer auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Und so wunderte sich Petra auch eher darüber, als sie von den Sauerländer*innen erfuhr, dass diese eher verschlossen und stur sein sollten – eigentlich genau das, was man über die Tiroler auch sagt.
Petra ist dabei, sich ein berufliches Netzwerk aufzubauen. Das braucht immer ein wenig Vorlaufzeit, aber Petra merkt nun, dass es sich etabliert. Inzwischen arbeitet sie in Winterberg in einer Mutter-Kind-Klinik als psychosoziale Fachkraft und hat sich mit einer eigenen Praxis ein zweites Standbein aufgebaut – und sich damit auch endlich den Traum der Selbstständigkeit in Deutschland erfüllt. Dank Unterstützung aus der Familie, regen Weiterempfehlungen und der Möglichkeit, über Videoplattformen viele ansprechen zu können, läuft diese gut an.
Doch Petra sagt auch, dass sie inzwischen zwei Heimaten hat, die Heimat im Süden und die Heimat im Norden. Das Sauerland ist inzwischen ihre Heimat Nummer eins, weil ihr Mann hier ist und damit ihre Familie. Das war ein Prozess, aber wenn sie jetzt ihre Familie in Österreich besucht, was immer wieder schön ist, freut sie sich doch, zurück ins Sauerland zu kommen. Petra erinnert sich an einen Besuch im Gasometer in Oberhausen mit ihrem Mann vor einigen Jahren. Sie lagen unter einer riesigen Weltkugel und da fiel ihr, an ihren Mann gewandt, auf, wie nah Tirol und das Sauerland doch eigentlich beieinanderliegen, worauf ihr Mann sagte: Quasi Tür an Tür.