Manche Menschen führt es auf verschlungenen Wegen ins Sauerland und das, obwohl es
eigentlich nie zur Debatte stand. Aber manchmal kommen die Dinge dann eben doch anders –
und meistens sind sie dann auch genau richtig so.
Zumindest war Nalan das Landleben nicht ganz unbekannt. Aufgewachsen in einem 2.000
Einwohner-Dorf irgendwo im Schwarzwald und in einer Kleinstadt zur Schule gegangen, weiß
sie, wie der Hase auf dem Land läuft. Als Kind wurde viel draußen gespielt, bis in den Abend
hinein mit den vier Geschwistern und anderen Kindern. Doch mit der Zeit lernte sie auch die
weniger schönen Seiten kennen. Es gab nur zwei andere Familien in der Umgebung, die wie ihre
Familie türkische Wurzeln hatten. Immer war sie die, die anders war. Sie durfte nicht alles, was
die anderen durften. Gerade in der Pubertät war das oft schwierig. Dabei ist es wohl schon
schwer genug, zwischen zwei Kulturen aufzuwachsen. Da verwundert es nicht, dass Nalan
irgendwann wegwollte – in die Türkei, um auch diesen Teil ihrer Identität kennenzulernen.
Sie verliebte sich in Istanbul, in die Großstadt. Ein absolutes Kontrastprogramm zu dem, was sie
bisher gekannt hatte. Zunächst blieb sie nur für ein Jahr, kehrte noch einmal in die Heimat
zurück, machte eine Ausbildung und startete in den Beruf. Mit 28 wollte sie es aber noch einmal
versuchen. Istanbul war ihr nie aus dem Kopf gegangen. Und so ging es zurück in die Türkei.
Dort lernte sie 2012 ihren Mann kennen und lieben, der ebenfalls in die Türkei ausgewandert
war – aus dem Sauerland. Sie heirateten, bekamen zwei Kinder. Doch wie das so ist, verändert
sich mit Kindern manchmal die Sichtweise auf manche Dinge. Die Kindergartenbetreuung, wie
die beiden sie aus Deutschland kannten, war in der Türkei eine andere. Zum einen erst ab fünf
Jahren, und Nalan und ihr Mann wollten beide arbeiten, und zum anderen sehr teuer. Was also
tun? Wäre es nicht schön, wenn die Kinder in Deutschland in Kindergarten und Schule gehen
könnten? Wenn sie in der Nähe der Familie aufwachsen könnten, Großeltern, Tante und Onkel
nicht nur bei gelegentlichen Besuchen sehen würden? Zurück aufs Land sollte es jedoch nicht
gehen. Und so wurde es Köln, eine Stadt, die dafür bekannt ist, vielfältig und offen zu sein.
Doch dann kam Corona. Der nächste Wendepunkt. Nalan lebte mit ihrer Familie – inzwischen
waren sie zu fünft – in einem Mehrfamilienhaus. Der Gemeinschaftsgarten war gesperrt,
Spielplätze auch. Der Wunsch nach mehr Raum und frischer Luft wurde immer größer. Ein
eigenes Haus mit Garten in Köln zu finden, schien jedoch fast unmöglich. Und dann passierte es
eben doch, weil am Ende eben irgendwie alle Wege ins Sauerland führen. Ein Haus in Meschede
wurde gekauft, renoviert und schon bald bezogen.
Und Nalan hat es nicht bereut. Im Sauerland ist alles etwas übersichtlicher und sicherer. Sie ist
mit ihrer Familie in Meschede glücklich. Und da sie das ländliche Leben schon aus ihrer Kindheit
und Jugend kannte, war das Ankommen leicht.
Nach Istanbul und Köln fehlt es natürlich ein wenig an kulturellen Angeboten. Aber Nalan sieht,
dass viel getan wird, um das zu ändern. Und dass das hier auch einfacher ist, als in der
Großstadt, weil die Wege hier kürzer sind und man sich kennt. Nalan selbst kennt noch nicht
sehr viele Menschen. Die Kinder haben schnell Anschluss gefunden. Kindern fällt das einfach
generell leichter als Erwachsenen. Nalan selbst hatte da größere Probleme. Gerade auch, weil sie
mehr Offenheit gewohnt war. Die wird den Sauerländern ja bekanntlich leider nicht unbedingt in
die Wiege gelegt. Inzwischen hat sie aber ein paar Freundinnen gefunden, die auch von
außerhalb kommen. Und sie kann sich vorstellen, im Sauerland alt zu werden, aber auch,
irgendwann noch einmal in die große weite Welt hinaus zu gehen, Südafrika vielleicht, wo ihr
Mann auch schon einmal eine Weile gelebt hat. Doch erst einmal sollen die Kinder auf dem Land
so behütet aufwachsen dürfen, wie sie und ihr Mann das konnten.